Der ehemalige Staatssekretär Lothar Ibrügger (SPD) fordert Gütergleise statt einer Neubaustrecke zwischen Bielefeld und Hannover. Eine Analyse des Interviews mit dem Westfalenblatt zeigt fehlende Kenntnis vom Bau und Betrieb von Bahnstrecken und Wunschdenken. Lesen Sie selbst und prüfen Sie die Quellen.
In einem Interview mit dem Westfalenblatt vom 19. Februar 2022, Titel „Diese Trasse wird nicht gebaut“ hat Ex-Staatssekretär Lothar Ibrügger (SPD) zu Neubaustrecke Bielefeld – Hannover und zu weiteren Neubauprojekten Stellung genommen. Wir kommentieren die Aussagen hier umfassend.
Lothar Ibrügger – zur Person und Amtszeit:
Investitions-Blockade
Ibrügger erwarb in der Bundestagswahl 1998 sein Bundestagsmandat, das er bis 2009 innehatte.
Der Koalitionsvertrag der rot-grünen Bundesregierung vom 20. Oktober 1998 sah die Prüfung des Baues der Neubaustrecke Nürnberg – Ebensfeld vor. Mit dieser Überprüfung begann die Amtszeit von Lothar Ibrügger als Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Der Bau hatte bereits begonnen, es kam zu einem Baustopp. Pläne dieser Zeit sahen eine Aufgabe des Projekts vor. Diese hätten bedeutet, dass die Fahrzeit Nürnberg – Erfurt statt geplanter 75 Minuten 68 Minuten länger gedauert hätte als geplant. Erst nach Ende der Amtszeit von Verkehrsminister Müntefering (17. September 1999), seines Nachfolgers Klimmt (20. November 2000) und nach der Amtszeit von Ibrügger (20. März 2000) hob die Bundesregierung Mitte März 2002 den Baustopp auf.
Die Strecke wurde nach entsprechender Verzögerung im Dezember 2017 in Betrieb genommen und weist seither stark steigende Fahrgastzahlen auf.
Start der Börsenbahn
In die Amtszeit von Ibrügger fällt auch die Berufung von Hartmut Mehdorn als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn. Mehdorn trat sein Amt am 16. Dezember 1999 an. Welchen Anteil Ibrügger daran hat, ist nicht belegt. Klar ist aber, dass damit die Ära der Börsenbahn begann, also die Absicht, die Deutsche Bahn einschließlich der Netzsparte zu einem gewinnbringenden Unternehmen zu machen.
Quellen:
Wikipedia zur Schnellfahrstrecke Nürnberg – Erfurt
Kommentar zum Interview
Ibrügger: Die 31 Minuten sind eine willkürliche Vorgabe eines inzwischen abgelösten Bundesverkehrsministers. Dieser Wert ist keine Absicht des Bundes, sondern nur der Ausfluss eines dritten Gutachtens zum Deutschlandtakt. Für diese 31 Minuten gibt es keine Rechtsgrundlage, weil sie als Ziel nicht gesetzlich verfügt worden sind.
Kommentar: 31 Minuten für die Fahrzeit Hannover – Bielefeld ist keine willkürliche Idee, sondern das Ergebnis eines mathematisch-geografischen Erkenntnisprozesses. Diese Fahrzeit ist schon im ersten Entwurf des Gutachtens enthalten, der im Oktober 2018 veröffentlicht wurde. Vorausgegangen war dem ein Erkenntnisprozess, der wesentlich von den Bundestagsabgeordneten Post, Schwartze und Völlers (SPD) und einigen Kollegen angestoßen wurde. Diese Gruppe von Abgeordneten haben erreicht, dass einige Details in einer Fußnote zur Anlage geregelt wurden, ein ungewöhnlicher Vorgang.
Der Bundesverkehrswegeplan von 2016 enthielt eine kürzere Neubaustrecke mit einer Fahrzeit von 40 Minuten, die durch den Jakobsberg (Porta-Tunnel) führen sollte. Diese Planung stieß in der Region auf Widerstand, mit der Folge, dass einige SPD-Abgeordnete gegen das entsprechende Gesetz stimmten. Diese Kritik führte dazu, dass die Bundesregierung die Wirkung der Maßnahmen durch das Schweizer Gutachterbüro SMA überprüfen ließ. Das Ergebnis wurde als „Zielfahrplan 2030“ veröffentlicht und bezeugt klar die Unzulänglichkeit des sich ergebenden Fahrplans, der lange Wartezeiten an vielen Umsteigestationen zur Folge hatte.
Daraufhin beauftragte die Bundesregierung das Gutachterbüro SMA, Verbesserungen zu erarbeiten. Diese enthielten zunächst eine Neubaustrecke mit 37 Minuten Fahrzeit auf der Basis von 250 km/h Höchstgeschwindigkeit. Da auch dieses Ergebnis nicht zufriedenstellen konnte, wurde die Gesamtstrecke Hamm – Berlin auf 300 km/h ausgelegt und der Neubauabschnitt auf 31 Minuten umgerechnet, mit der Folge, dass nunmehr Hamm, Bielefeld, Hannover, Wolfsburg und Berlin als integrale Taktknoten dargestellt werden können.
Richtig ist, dass „31 Minuten“ keine gesetzliche Grundlage haben. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz nennt die Projekte nur mit einer Kurzformel, in diesem Fall als „ABS/NBS Hannover – Bielefeld“. Weitere Einzelheiten sind im Bundesverkehrswegeplan enthalten. Dieser ist aber kein Gesetz, sondern nur ein Regierungsprogramm, damit behält die Bundesregierung im Planungsprozess die Freiheit, das politische Planungsziel zu überprüfen und an neue Bedingungen anzupassen. Dies ist mit dem Planungsauftrag zur Neubaustrecke Hannover – Bielefeld geschehen, indem auf das inzwischen vorliegende Gutachten zum Deutschlandtakt Bezug genommen wird.
Quellen:
Abschlussbericht zum Deutschlandtakt
Bundesverkehrswegeplan 2016 Projekt Bielefeld – Hannover
Zielfahrplan 2030 (veröffentlicht 2017) Diese Daten können beim Webmaster angefordert werden.
Zielfahrplan 2030+, Fernverkehr, 1. Entwurf vom Oktober 2018
Bundesschienenwegeausbaugesetz, Anlage Abschnitt 2 Ziffer13
Ibrügger: Das von den Bahnplanern an der Bestandsstrecke präsentierte Horrorszenario zwischen Herford, Löhne, Bad Oeynhausen, Porta Westfalica und Minden hätte vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht keinen Bestand.
Kommentar: Diese Planung ist nicht dafür gedacht, sie wirklich umzusetzen. Die Deutsche Bahn stellt dar, was geschieht, wenn die regionale Forderung nach Ausbau der Bestandsstrecke umgesetzt wird. Ibrügger erhebt ja für den Abschnitt Minden – Wunstorf genau diese Forderung. Bezeichnenderweise zitiert Ibrügger nicht diesen Abschnitt, obwohl die Ergebnisse einer Grobplanung bereits vorgestellt wurden und öffentlich verfügbar sind (Regionaltreffen Bad Nenndorf und Bückeburg).
Die DB sichert mit dieser Planung jede andere Planung rechtlich ab.
Quellen:
Website der Deutschen Bahn > Dialog > Regional-Treffen
Ibrügger: Denn alle Städte entlang der Strecke haben verbindliche Bauleitplanungen, die das Eigentum der Bürger schützen und städtebauliche Schranken für Verkehrswegeplanungen darstellen.
Kommentar: Das ist fachlich nicht zutreffend. Städte und Gemeinden können mit Bauleitplanungen Verkehrsprojekte nicht verhindern. Maßgeblich ist das Raumordnungsverfahren, das als „Dach“ über den Verkehrsprojekten und Bauleitplänen steht und die unterschiedlichen Nutzungen verträglich koordiniert. Wohngebäude sind hier der höchsten Raumwiderstandsklasse zugeordnet, sodass sie nur in zwingenden Fällen angetastet werden dürfen. Das ergibt sich aus dem Eigentumsschutz des Artikel 14 Grundgesetz.
Ibrügger: Die grundsätzliche Überprüfung der willkürlich festgelegten Fahrzeit von 31 Minuten beginnt jetzt.
Kommentar: Die Prüfung ist verständlich, wenn man vermutet, dass politische Einflüsse wirksam geworden sind. Es gibt einige Punkte, an denen politishe Einflüsse wirksam geworden sind und keine ausreichende Prüfung von Alternativen durchgeführt wurde, dieses hat der Autor dieser Zeilen auch in Fachartikeln dargestellt. Aber die Einflüsse werden von Ibrügger weit überschätzt. Keine Fahrzeitvorgabe, weder 31 Minuten noch eine andere Fahrzeitvorgabe der Bundesregierung hat keine Chance, wenn die Raumwiderstände diese Planung nicht zulassen oder die Wirtschaftlichkeit nicht erreicht wird. Der Bundestag wird das Haushaltsrecht nicht außer Kraft setzen, um eine Fahrzeit zu ermöglichen, die den Wünschen der lokalen SPD-Abgeordneten entspricht. Das beste Beispiel dafür ist das Projekt „Alpha E“. Der dreigleisige Ausbau zwischen Lüneburg und Uelzen erreicht die Wirtschaftlichkeit bei weitem nicht und darf daher nach Haushaltsrecht nicht gebaut werden. Daran ändert es auch nichts, dass es über die Realisierung eine Vereinbarung zwischen Bund und Land Niedersachsen gegeben hat.
Auch der von Ibrügger geforderte Bau von Gütergleisen hat die Wirtschaftlichkeit nicht erreicht.
Politisch zu beachten ist, dass auch die rot-grüne Bundesregierung Schröder eine solche Überprüfung veranlasst hatte. Das Ergebnis war die Verzögerung des Projekts Erfurt – Nürnberg um ein halbes Jahrzehnt. Diese Verzögerung hat in erster Linie Ibrügger selbst zu vertreten (siehe oben zur Amtszeit).
Quellen:
Ergebnisse der Überprüfung der Bedarfspläne (2010)
Gesamtwirtschaftliche Bewertung des optimierten Alpha E
Engel, Bahn-Report 1/2022, S. 21 ff.: Deutschlandtakt: Nutzen gut – alles gut?
Engel, Bahn-Report 4/2021. S. 9 ff.: Systemfehler im Deutschlandtakt
Ibrügger: Diese ganzen Planungsprozesse zu einer 31-Minuten-Verbindung behindern unmittelbar die Verkehrswende und das Klimaschutzsofortprogramm für das Gesamtsystem Schiene. Es ist falsch, sich von Megaprojekten abhängig zu machen, die erst in 20 Jahren ihren Verkehrswert entfalten könnten. Das Projekt blockiert die im Koalitionsvertrag formulierte Absicht, bis 2030 den Anteil der Schiene am gesamten Güterverkehr auf 25 Prozent zu steigern und die Fahrgastzahlen zu verdoppeln.
Kommentar: Vor, während und nach der Amtszeit von Ibrügger hat die Deutsche Bahn – im Gegensatz zur Straßenbauverwaltung – nie einen Vorrat an ausführbaren Bauplänen entwickeln dürfen. Mit der Auffassung, eine solche Planung behindere andere Planungen, zementiert Ibrügger dieses Vorgehen. Abgesehen davon: Die DB plant ja gerade die Möglichkeiten, die Bestandsstrecke auszubauen und stellt sie dar – nur mit dem fachlich zutreffenden Ergebnis, dass die Idee von Ibrügger aufgrund der Gegebenheiten nicht umsetzbar ist.
Auch bereits im Bundesverkehrswegeplan 1993 stand der Ausbau Minden – Wunstorf, sodass Ibrügger selbst nicht gehindert gewesen war, den Planungsauftrag an die Deutsche Bahn vorzubereiten und auf den Weg zu bringen.
Ibrügger: Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland leben in Städten und Gemeinden unter 100.000 Einwohnern, 664 Mittelzentren müssen verlässlich an ein robustes Schienenwegenetz angeschlossen werden. Betrieb und Angebot auf der Schiene sind ein wichtiger Beitrag zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.
Kommentar: Die Deutsche Bundesbahn hatte seit 1988 ein Netz von Interregio-Zügen aufgebaut, das fast alle Mittelzentren an das qualifizierte Fernverkehrsnetz angeschlossen hatte. Dieses Netz erlebte 1996 seinen Höhepunkt. Danach wurde das Netz Schritt für Schritt abgebaut, und während der eigenen Amtszeit als Staatssekretär versetzte Bahnchef Mehdorn diesem Netz den Todesstoß. Das von der SPD geführte Bundesverkehrsministerium hätte umsteuern können, hat es aber nicht getan, sondern die Verantwortung für den Anschluss der Mittelzentren auf die Bundesländer abgeschoben, die die Lücken stopfen mussten. Die Bundesländer wurden wiederum in dieser Aufgabe unmittelbar nach der Amtszeit von Ibrügger daran gehindert: durch die Kürzung der Regionalisierungsmittel. Diese Kürzung ging auf das sog. „Koch-Steinbrück-Papier“ zurück, das von den Ministerpräsidenten Steinbrück (SPD) und Koch (CDU) vorgelegt und noch während der Amtszeit von der Regierung Gerhard Schröder (SPD) umgesetzt wurde.
Quellen:
Karl-Dieter Bodack, InterRegio, EK-Verlag, Freiburg 2005
Koch-Steinbrück-Papier
Der Spiegel, 26.11.2005: Länder bereiten sich auf Kürzung der Bundesmittel für den Nahverkehr vor
Ibrügger: Wenn es gut liefe, stiege der erste Fahrgast im Jahr 2042 in Hannover in den ICE ein und in Bielefeld aus. Nach einer ewig langen Bauzeit und dem Verbrauch von zehn Milliarden Euro. Das ist eine Respektlosigkeit gegenüber den Steuerzahlern und gegenüber der Wählerschaft als Eigentümer der Deutschen Bahn. Ibrügger: Auch wegen der Erfahrungen nach der Flutkatastrophe im vorigen Sommer ist der Ausbau eines robusten Netzes absolut vorrangig und erfordert ein Umdenken. Gegenwärtig ist die neue Bundesregierung damit beschäftigt, die bisherigen Prioritäten von Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer auf den Prüfstand zu stellen. Ich bin überzeugt, dass diese ICE-Trasse nicht gebaut wird.
Kommentar: Diese Auffassung reproduziert die eigene Handlungsweise der Amtszeit von Ibrügger, der die durchaus teure Neubaustrecke Erfurt – Ebensfeld zu verhindern. Letztlich ist dieser Versuch an den geografischen Realitäten gescheitert und hat die Realisierung nur um ein halbes Jahrzehnt verzögert – siehe ganz oben.
Respektlos ist es, Baumaßnahmen zu fordern, die dem Anspruch des Haushaltsrechts nicht genügen können. Das Haushaltsrecht verlangt, dass der volkswirtschaftliche Nutzen von Bauprojekten höher sein muss als die Koste. Respektlos ist es, die Aufrechterhaltung eines Fahrplans zu fordern, bei dem Fahrgäste lange auf Anschlüsse warten müssen. Doch genau dies tut Ibrügger.
Es ist eine zu einfache Denke, dass ein Fahrclansystem, von den besten Planern dieses Metiers erarbeitet, so einfach über Bord gekippt werden kann, um mit den Ausbauten weiter zu wursteln wie zu der Amtszeit von Ibrügger. Während zur Amtszeit von Ibrügger der Regionalverkehr von den Bundesländern bereits nach den Grundsätzen des integralen Taktfahrplans geordnet wurde, wurden die teuren Bauprojekte der Bundesregierung noch nach politischem Gutdünken und ohne Rücksicht auf spätere Fahrpläne gestaltet. Dabei wurde für das Schienennetz die Methode ungeprüft übernommen, die für den Straßenverkehr galt: Beschleunigung ohne Rücksicht darauf, dass Eisenbahn ein fahrplanbasiertes System ist..
Ibrügger: Dem Gesetzgeber im Bundestag und Bundesrat stellt sich natürlich die Frage, ob diese Vorfestlegung auf zwei Tempo-300-Strecken (die zweite ist Nürnberg – Wür6zburg, der Webmaster), die insgesamt 20 Milliarden Euro kosten würden, sinnvoll sein kann. Weder verkehrlich noch betrieblich sind solche Strecken erforderlich für das Gesamtsystem Bahn.
Kommentar: Dieser Darstellung fehlt jegliche Fachkunde.
Gemeinsam gilt für beide Strecken, dass die Höchstgeschwindigkeit von der sogenannten Kantenzeit abgeleitet wird. Die Kantenzeit ergibt sich mathematisch für Stundentakte im Schienenverkehr, sie beträgt 30 oder 60 Minuten. Eine Kantenzeit von 45 Minuten erfordert einen Halbstundentakt für alle Linien des Netzes und führt zu Wartezeiten, wenn aus einem Halbstundentakt in einen Stundentakt gewechselt werden muss. Gemeinsam gilt für beide Strecken auch: Sie liegen mitten im Netz. Eine Abweichung von der Kantenzeit führt zu einem sehr viel schlechteren Taktgefüge und dazu, dass die Investition ohne Wirkung auf die Verbesserung der Fahrzeiten im Gesamtnetz bleibt.
Für beide Strecken gilt auch: Der Engpass besteht in erster Linie zwischen dem schnellen Reisezugverkehr und dem langsameren Regionalverkehr und den Bedürfnissen der Region nach einer deutlichen Verdichtung des Regionalverkehrs.
Die Entstehung und die verkehrliche Bedeutung in der Engpassbeseitigung für den Güterverkehr ist sehr unterschiedlich.
Bei Hannover – Bielefeld liegt zum einen ein sehr gravierender Engpass zwischen Regional- und Fernverkehr vor, zum anderen ist die heutige Fahrzeit von 48 Minuten weit weg von jeder Vereinbarkeit mit einem integralen Taktfahrplan. Eine Neubaustrecke kann zugleich den Engpass im Güterverkehr in der Verbindung Hamburg / Bremen – Ruhrgebiet auflösen und die schnellste Verbindung Köln – Hamburg aufnehmen. Bereits für den ersten Entwurf des Zielfahrplans 2030+ wurde festgestellt, dass nur mit 300 km/h ein geeignetes Taktsystem zu erzielen ist.
Die Strecke Nürnberg – Würzburg passt hingegen schon heute optimal in den integralen Taktfahrplan, hier muss die Fahrzeit um eine halbe Stunde gekürzt werden, um die gleiche Qualität der Anschlüsse zu erreichen. Der Engpass im Güterverkehr ist nicht ganz so drängend, weil für Güterzüge insgesamt zwei Umfahrungen zur Verfügung stehen, über Ansbach und über Bamberg, und die dritte über Hof (Saale) steht aktuell zur Elektrifizierung an. Hier hatte der erste Entwurf des Zielfahrplans noch versucht, eine Kantenzeit von 45 Minuten zu rechnen. Das Ergebnis konnte aber aufgrund der in vielen Teilen von Bayern geltenden Stundentakte nicht überzeugen.
Quellen:
Zielfahrplan 2030 (veröffentlicht 2017) Die Daten können beim Webmaster angefordert werden.
Zielfahrplan 2030+, Fernverkehr, 1. Entwurf vom Oktober 2018
Ibrügger: Vielmehr erzwingen sie eine Nachfrage für diese beiden Verbindungen und machen damit die Masse der Fahrgäste zu Umsteigern.
Kommentar: Auch hier versagt Ibrüggers Fachkenntnis, Ibrügger versteckt eine andere Forderung hinter der Behauptung.
Zwischen Bielefeld und Hannover verkehren heute genauso viele Intercity-Züge wie vor 25 Jahren unter der Marke Interregio, und alle haben auch nach dem Bau der Neubaustrecke ihre Berechtigung. Zwischen Nürnberg und Würzburg sind selbst zu den besten Zeiten des Interregio-Verkehrs keine Interregio-Züge gefahren. Die größten Städte sind Kitzingen (21.000 Einwohner) und Neustadt (Aisch) (13.000 Einwohner), die keinen Zwischenhalt rechtfertigen. Fürth ist zwar größer, gehört aber zur Agglomeration Nürnberg mit U- und S-Bahn-Anschluss.
Hinter dem Argument von Ibrügger steckt etwas ganz anderes: die Forderung nach einem ICE-Halt Minden und die Sorge, dass auch die heute verkehrenden Fernzüge an Minden vorbeifahren. Es ist davon auszugehen, dass die ganz persönliche Erfahrung von Ibrügger besteht, dass man in Minden einsteigen und in Berlin wieder aussteigen kann. Dieses Angebot gibt es genau seit dem Beginn der Ära Schröder und der Übernahme des Bundstagsmandats durch Ibrügger: Am Tag der Bundestagswahl hat Bundeskanzler Kohl die Neubaustrecke nach Berlin eröffnet, und damit wurde das Intercity-Angebot mit schnellen Direktzügen zwischen Minden und Berlin eingeführt.
Wenn die Fahrgastnachfrage die ICE-Züge hinreichend füllt, werden sie in Minden weiterhin ohne Halt durchfahren. Coburg zeigt, dass auch eine abseits liegende Stadt per ICE erreichbar bleibt, wenn sich die Region ausreichend darum bemüht. Bemühen wiederum muss man sich nicht mit Forderungen, sondern mit Fahrgästen, die am Bahnsteig stehen. Der Mindener Bahnhof liegt aber abseits der Stadt auf dem anderen Weserufer, und ausreichende Bemühungen, mehr Fahrgäste dorthin zu bringen, sind in Minden unbekannt.
Wenn also Umsteiger „produziert“ werden, dann sind es Umsteiger auf das Auto, weil ihnen der Zug zu langsam ist.
Quellen:
Kursbuch Deutsche Bahn 1996
Karl-Dieter Bodack, InterRegio, EK-Verlag, Freiburg 2005, Seite 94
Ibrügger: Trotzdem wären solche Strecken zu keinem Zeitpunkt eigenwirtschaftlich zu betreiben. Legt man die mehr als 10,5 Milliarden Euro kostende Hochgeschwindigkeitsstrecke durch Thüringen und deren bisherige Trassenerlöse zugrunde, kommen wir derzeit auf eine Amortisierungszeit von 145 Jahren.
Kommentar: Damit verwendet Ibrügger ein Argument, das in seiner Amtszeit und der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder uneingeschränkt Geltung hatte: Bahnstrecken müssen sich betriebswirtschaftlich rechnen. Der von der damaligen SPD-geführten Bundesregierung berufene Bahnchef Hartmut Mehdorn hat diese These rigoros umgesetzt. Davon rückt der Koalitionsvertrag der heutigen Ampelregierung erstmals ab und fordert die Umwandlung der gewinnorientierten Netz-Aktiengesellschaft in einen gemeinwirtschaftlichen Betrieb.
Zugleich weist Ibrügger mit der vorgenannten Äußerung darauf hin, dass Wirtschaftlichkeitsberechnungen in gewissem Umfang „schöngerechnet“ worden sind. Dies trifft insbesondere für die Neubaustrecke Erfurt – Ebensfeld zu. Um die Wirtschaftlichkeit nachzuweisen, wurden unter der Regierung Kohl für diese Strecke Güterzüge und Interregio-Züge eingerechnet. Aufgrund späterer Sparmaßnahmen wurde die Strecke abschnittsweise steiler angelegt als ursprünglich geplant. Güterzüge konnten bis vor sehr kurzer Zeit nicht mit einer Last fahren, die für die Verkehrsunternehmen wirtschaftlich war. Erst seit sehr kurzer Zeit können solche Güterzüge wirtschaftlich verkehren, nachdem die Strecke signaltechnisch nachgerüstet wurde. Interregio-Züge verkehren hier bis heute nicht, weil – wie oben dargestellt – sie sich nicht nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen rechnen. Erst jetzt hat die Bundesregierung unter Verkehrsminister Scheuer die Bundesländer Bayern und Thüringen durch Erhöhung der Regionalisierungsmittel in den Stand gesetzt, gemeinwirtschaftlich finanzierte Regionalzüge zu bestellen. Die Amortisationszeit wird sich so drastisch verkürzen. Darüber hinaus ist das Herausrechnen einzelner Streckenabschnitte aus einem Netz eine fachlich nicht gerechtfertigte Methode: Erst die hohe Geschwindigkeit und kurze Reisezeit rechtfertigt mehr Züge, und die erhöhten Zugzahlen führen auch auf anderen deutlich mit weniger Kosten gebauten Streckenabschnitten zu mehr Einnahmen, sodass dort Überschüsse entstehen: Die zusätzlichen ICE fahren von Berlin bis Halle über Bestandsstrecken und von Halle bis Erfurt über eine viel günstiger gebaute Neubaustrecke.
Quellen:
Regionalexpress Nürnberg – Erfurt: Neue Doppelstockzüge
Regionalexpress Nürnberg – Erfurt umstritten
Ibrügger: Zu keinem Zeitpunkt stelle ich die Methodik eines integrierten Taktfahrplans in Frage. Er muss aber von den fatalen Abhängigkeiten von viel zu teuer erkauften Hochgeschwindigkeitsstrecken gelöst werden, weil weder die Ziele beim Klimaschutz noch die Ziele der Verkehrswende bis 2030 so erreicht werden.
Kommentar: Ibrügger stellt den Ursachenzusammenhang auf den Kopf. Der integrale Taktfahrplan ist ein mathematisches System.
Der integrale Taktfahrplan ist davon abhängig, dass das Neubauprojekt Hannover – Bielefeld realisiert wird. Eine Fahrzeit Hannover – Bielefeld von 48 Minuten und Hannover – Hamm von 77 Minuten ist nicht geeignet, einen integralen Taktfahrplan zustande zu bringen. Einzige Alternative wäre die Verlängerung der Fahrzeit Hannover – Bielefeld auf etwa 60 Minuten und Hannover – Hamm auf etwa 90 Minuten. Erst mit dem integralen Taktfahrplan werden die Reisezeiten nicht nur von Bielefeld nach Hannover, sondern auch aus der Region im Westen in die Region im Osten so kurz, dass das System Bahn attraktiver wird als das eigene Auto.
Das Erreichen der Ziele bis 2030 wäre nur möglich, wenn die Planungszeiträume verkürzt würden. Das ist Aufgabe des Deutschen Bundestages. Das gilt für alle Projekte, die für den Klimaschutz in Frage kommen. Die geografischen und mathematischen Bedingungen kann auch der Bundestag nicht ändern.
Ibrügger: Ich fordere, den Bau von zwei Güterzuggleisen von Minden nach Wunstorf sofort in Angriff zu nehmen.
Kommentar: Diese Forderung zeigt besonders die fehlende Fachkunde von Ibrügger. „Güterzuggleise“ lösen das bestehende Engpassproblem nicht. Ein Engpass entsteht durch die Konkurrenz von schnell und langsam fahrenden Zügen. Daher sind auch die Streckenabschnitte Hamm – Bielefeld und Bielefeld Minden Engpässe, obwohl hier vier Gleise und damit die Güterzuggleise vorhanden sind. Diese Güterzüge können nur von Güterzüge genutzt werden, weil Bahnsteige fehlen. Auf dem anderen Gleispaar müssen sich schnell fahrende Züge (ICE, IC) die Gleise mit Regionalzügen teilen. Je höher die Differenz in den Geschwindigkeiten ist, umso weniger Züge können verkehren. So sind zwischen Hamm und Bielefeld nur vier Züge je Stunde und Richtung möglich. Jeder weitere schnelle Zug drängt Regionalzüge an die Seite, verlangsamt deren Fahrt, weil das Überholen abgewartet werden muss, und zwingt den Regionalzug, Halte auszulassen. Bereits dreimal täglich ist diese Situation gegeben, wenn der Sprinter Köln – Berlin den Regionalexpress 6 in Gütersloh überholt.
Auf dem Abschnitt Minden – Wunstorf verschärfen die Güterzüge die Situation nur noch.
Gebaut werden müssen Gleise für den wachsenden schnellen Verkehr. Güterzüge und Regionalzüge vertragen sich auf dem gleichen Gleispaar hingegen sehr gut. Allerdings fordert eine Verdichtung des Verkehrsangebots für eine S-Bahn in Ostwestfalen-Lippe mehr Platz auf den Schienen, als mit dem Bau von Bahnsteigen an den heutigen Gütergleisen geschaffen werden kann.
Quellen:
Zielfahrplan NRW 2040
Ibrügger: Der Bundestag hat 2004 den Ausbau zwischen Minden und Wunstorf auf vier Gleise gesetzlich verfügt.
Kommentar: Das ist unzutreffend zitiert. Der Bundesverkehrswegeplan 2003 benennt das Projekt so:
„ABS / NBS Seelze—Wunstorf—Minden
Zweigleisige Ausbau- / Neubaustrecke Seelze—Haste, vmax = 230 km/h; zweigleisige Ausbau- / Neubaustrecke Haste— Porta Westfalica, vmax = 230 km/h“
Damit nimmt der Text auf die Pläne der DB aus den 1990er Jahren Bezug, einen Tunnel durch den Jakobsberg bei Porta zu bauen, lässt also genau die Variante zu, die Ibrügger bekämpft.
Die Behauptung ist auch rechtlich falsch. Der Bundestag beschließt mit dem Bundesschienenwegeausbaugesetz lediglich, dass die Bundesregierung ein Projekt in Auftrag geben „darf“ – nicht aber, dass sie es muss, und schon gar nicht, wie sie es muss.
Quellen:
Bundesverkehrswegeplan 2003.S. 55 (pdf Blatt 67)
Ibrügger: Doch es wurde von den Bundesverkehrsministern Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt nicht in Angriff genommen, weil die immensen Kostensteigerungen in Höhe von fünf Milliarden Euro für die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Nürnberg nach Berlin dafür sorgten, dass die 550 Millionen Euro für Minden-Wunstorf nicht mehr vorhanden waren. Ibrügger: Ich fordere, den Bau von zwei Güterzuggleisen von Minden nach Wunstorf sofort in Angriff zu nehmen, wie es der Bundestag entschieden hat.
Kommentar: Diese Darstellung ist insgesamt unzutreffend.
Zunächst trifft die genannte Zahl von 550 Millionen Euro nicht zu. Der Bundesverkehrswegeplan 2003 nennt 901,3 Mio. Euro Baukosten nach dem damaligen Baukostenindex.
Die Bundesregierung hat alle Projekte auf ihre Wirtschaftlichkeit prüfen lassen. Das Ergebnis für Minden – Wunstorf wurde zusammen mit allen anderen Prüfungen im Jahr 2010 veröffentlicht. Das Ergebnis: Der Nutzen-Kosten-Faktor liegt knapp unter 1. Das Projekt darf daher haushaltsrechtlich nicht geplant und gebaut werden.
Auch der politische Zusammenhang besteht nicht. Ein Projekt darf zur Planung an die Deutsche Bahn erst vergeben werden, wenn die Wirtschaftlichkeit überprüft ist. Dieses Prüfergebnis lag erst 2010 vor.
Es fällt zwar auf, dass die Prüfung sehr lange gedauert hat, dies lässt auf den Unwillen der jeweils amtierenden Regierung schließen. Das Ergebnis ist davon aber nicht abhängig.
Auch die jetzige Forderung von Ibrügger hat keine Chance auf Verwirklichung, weil der Nutzen-Kosten-Faktor nicht erreicht wird. Seit 2004 haben sich die Kosten auch eines solchen Projekts erheblich erhöht, weil Anforderungen an technische Sicherheit, Umweltschutz und Lärmschutz erhöht wurden. Dafür sind letztlich Forderungen der Bürger und Vorgaben der Europäischen Union maßgeblich.
Soweit Ibrügger darauf beharrt (Westfalenblatt 26.2.2022), dass die von ihm genannte Zahl von 550 Mio. Euro zutreffe, und weiter mitteilt, dafür sei ein Nutzen-Kosten-Wert von 3 errechnet worden, könnte es sich insoweit um eine noch ältere Planung handeln: Schon frühere Bundesverkehrswegepläne enthielten diesen Ausbau. Tatsache ist auch, dass im betreffenden Abschnitt ein Planum von etwa 18 Meter Breite der DB gehört. Dies hätte zu Dampflokzeiten für 4 Gleise genügt, nicht aber unter heutigen Bedingungen.
Ibrügger: Die Fertigstellung würde fünf bis acht Jahre dauern und würde auch die deutsche Verpflichtung für den Ausbau des transeuropäischen Korridors bis 2030 erfüllen.
Kommentar: Eine solche Aussage über die Bauzeit entbehrt jeder fachlichen Grundlage.
Zwar könnten bei einer Abänderung des Planungsauftrages die Vorarbeiten der DB bis heute verwendet werden, aber der Planungsprozess würde sich nicht verkürzen, bis eine Vorzugstrasse in etwa 2 Jahren zur Verfügung stünde. Danach schließt sich das Planfeststellungsverfahren an, das mindestens 2 Jahre benötigt. Für einen Bau aufgrund Baurecht durch Gesetz wird es keine parlamentarische Mehrheit geben, sodass ein Planfeststellungsbeschluss erforderlich ist und durch alle Instanzen rechtskräftig sein muss, bevor gebaut werden darf. Nichts daran ist schneller als beim derzeitigen Verfahren.
Der Bau von zwei zusätzlichen Gleisen entlang einer Bestandsstrecke dauert in aller Regel länger als ein Neubau und ist dennoch mit Vollsperrungen für erhebliche Zeiträume verbunden. Der Glaube, man könne zwei Gleise einfach neben die vorhandenen legen, ist ein Kinderglaube aus der Welt der Modelleisenbahn. Die fachlichen Darstellungen der Deutschen Bahn darüber prallen bei Politikern immer wieder ungehört ab. Wegen der zusätzlichen Kosten und Erschwernisse sind die Kosten eines solchen Ausbaues auch nicht niedriger als die eines Neubaues.
Ein Beispiel für den Bau zusätzlicher Gleise ist die Strecke (Nürnberg -) Fürth – Bamberg – Ebensfeld (- Erfurt). Diese Strecke musste mittlerweile für fast ein Jahr gesperrt werden. Die Bauarbeiten gehen nur abschnittsweise voran und sind noch nicht beendet.
Für den zweigleisigen Ausbau Verden – Rotenburg hat die Vorbereitung etwa 6 Jahre gedauert, wann gebaut werden kann, ist noch völlig unklar, und die Bauzeit ist mit 8 Jahren angesetzt bei jährlich 3 Monaten Vollsperrung.
Nach 3 Jahren politischer Vorbereitung hat jetzt das Planungsverfahren für die Elektrifizierung Hameln – Elze begonnen. Mit dem Abschluss wird für das erste Quartal 2025 gerechnet, ein Zeitpunkt der Fertigstellung ist nicht angegeben, vielleicht wird es 2030.
Die einzige Maßnahme, die ähnlich schnell zu realisieren wäre, wäre die Elektrifizierung der Weserbahn von Löhne durch das Kurgebiet Bad Oeynhausen, durch Vlotho und Rinteln – ein Projekt, gegen das massivste Bürgerproteste zu erwarten sind. Dieses am schnellsten zu verwirklichende Projekt lehnt Ibrügger selbst ab.
Quellen:
Wikipedia zu Ausbaustrecke Nürnberg – Ebensfeld
Bericht über das Ergebnis der Vorplanung und der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung der Ausbaustrecke Rotenburg – Verden
Bahnprojekt Hameln – Elze
Neue Westfälische vom 14.5.2019 (Ibrügger zum Ausbau Weserbahn)
Ibrügger: Man glaubt es kaum, aber die Planung für den viergleisigen Ausbau der Strecke liegt mehr als 100 Jahre zurück. Die beiden Weltkriege und deren Folgen haben den Bau verhindert. Der Ausbau auf vier Gleise ist auch wichtig, weil nach der Fertigstellung die Zahl der Transit-Lkw auf der A2 deutlich gesenkt werden könnte. Vor zehn Jahren waren es in Bad Oeynhausen täglich 1200 Lkw, heute sind es 3000. Das entspricht 60 Güterzügen.
Kommentar: Das ist die einzige Aussage, die richtig ist. Aber das Schienennetz ist nicht so einfach auszubauen wie eine Autobahn, an die man einfach eine neue Fahrspur anbaut. Um sinnvolle Forderungen zu verstehen, muss man den Bahnverkehr und seine Technik verstehen.
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