300 km/h und Energie-Effizienz – 300 km/h ist besser als 250 km/h

Ist die Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h für den Bahn-Fernverkehr ökologisch vertretbar?
Ja. Sechs Gründe:

1. Schnelle Züge fahren künftig mit grünem Strom – nicht nur langsame.
2. Bahnverkehr auch mit 300 km/h weniger Energie als Elektroautos, wenn man den statistischen Besetzungsgrad ansetzt.
3. Neubaustrecken mit ihrem auf Energieeffizienz austarierten Neigungsprofil und ohne Bahnhöfe erfordern weniger Energie als Altstrecken, die viele Beschleunigungen und Bremsungen erfordern.
4. Mehr Menschen steigen um, wenn Züge schneller fahren.
5. Wer Züge benutzt, die ohnehin unterwegs sind, spart 100 % Energie. Deutschland hat sich zur Sicherung der Mobilität aller Bürger für den Deutschlandtakt entschieden. Das entspricht dem Auftrag in Artikel 87e Grundgesetz.
6. Jeder eingesparte Kurzstreckenflug ist ein Gewinn für den Klimaschutz, selbst wenn der Treibstoff klimaneutral erzeugt wird. Mehr lesen Sie hier.

Hochgeschwindigkeit und Klimaschutz: Grüner Strom verändert Rechnungen und Argumente

Die Debatte über den Klimaschutz wird gegenwärtig geführt mit dem Argument, dass Hochgeschwindigkeitsverkehr mehr: Energie benötige als langsamerer Bahnverkehr. Dieses Argument beruht auf der Annahme, dass verbrauchte Energie an sich klimaschädlich sei. Es ist ein Argument aus der Zeit, in der Energie mit fossilen Brennstoffen erzeugt wurde. Wird aber alle Energie regenerativ erzeugt – und das sollte in ein bis zwei Jahrzehnten der Fall sein – so spielt diese Frage keine wesentliche Rolle mehr. Dann kommt es auf den Verbrauch von anderen Ressourcen wie seltene Erden, Bedarf an Autobahnspuren, Parkraum, Flächenversiegelung an.
Das Klima-Argument, das dann bleibt, ist die chemisch bedingte Erzeugung von CO₂ beim Bau von Bahnanlagen. Nach klassischer Rechnung wird ein Drittel der Emissionen durch thermische Prozesse erzeugt, zwei Drittel durch chemische Prozesse. Da die thermischen Prozesse auch mit erneuerbarer Energie geleistet werden können, sind die in der Regel als unvermeidbar genannten Klimabelastungen um ein Drittel zu hoch. Wenn es um den Vergleich des Baues einer Neubaustrecke mit dem Ausbau einer Bestandsstrecke geht, relativiert sich das Problem weiter. Nur eine eingehende Analyse der Bauvorhaben gibt hier Aufschluss, und diese Analyse versucht die Deutsche Bahn in ihren Planungsverfahren zu leisten. In der weiteren Diskussion ist dann die Frage zu stellen: Ist dieser Einsatz von CO₂ gut begründet und gut „angelegt“. Auch diese Frage ist im Ergebnis mit „ja“ zu beantworten: Beispielsweise sind Bahnanlagen viel haltbarer als Autobahnen.

Individuell 100 % Energie sparen – mit der Bahn

Wer in einen Zug steigt, der bereits im Fahrplan steht, und wegen dieses Angebots seinen Pkw stehen lässt, spart 100 % der Energie des Pkw. Der Grund für diese Sichtweise: allein dadurch, dass ein Fahrgast mehr im Zug ist, wird nicht mehr Energie verbraucht.
Diese Sichtweise hat in vieler Hinsicht ihre Berechtigung:
Erst, wenn viele Menschen sich zu diesem Entschluss bewegen lassen, wird dann Einfluss auf das Angebot ausgeübt.
Der Umfang des Einflusses hängt davon ab, wie das Verkehrsangebot gestaltet wird. Wie oft werden Fahrpläne geändert und der Verkehrsnachfrage angepasst?
Nach welchen Kriterien wird das Angebot angepasst? Gibt es gesetzliche Vorgaben für ein Angebot, dass auch bei geringerer Nachfrage aufrechterhalten bleibt?
In Deutschland sind die Voraussetzungen besonders günstig, dass die individuelle Sichtweise hinsichtlich der Ersparnis von Energie tatsächlich im Einzelfall greift.
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland enthält in Art. 87e Abs. 4 eine Garantie für ein Mindestangebot, das zur Sicherung der Teilhabe aller Menschen vorzuhalten ist. Zwar ist dieses Angebot nicht näher beschrieben und daraus können auch keine individuellen Rechtsansprüche abgeleitet werden, aber dieser Auftrag der Verfassung prägt grundsätzlich die politische Beurteilung des Systems der Eisenbahn. Kein anderes Verkehrsmittel muss ein Mindestangebot herstellen.
Der Deutschlandtakt trägt dem Rechnung: Der integrale Taktfahrplan setzt ein zeitlich gut verfügbares Angebot voraus, weil koordinierte Anschlüsse zwischen verschiedenen Verkehrslinien nur dann sinnvoll sind, wenn die so geplanten Verkehrslinien durch ein entsprechendes Angebot über den ganzen Tag diese Anschlüsse auch tatsächlich herstellen. Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Fernverkehrslinien und der daraus abgeleitete Bedarf an Infrastruktur beruht auf der Betrachtung von Linien mit einem definierten Takt und nicht von Einzelzügen.
Die Planung des Verkehrsangebotes auf ein Jahr hinaus und die Planung des Erwerbs von Fahrzeugen für dieses Verkehrsangebot über noch viel längere Zeiträume sichert eine gute längerfristige Verfügbarkeit des Verkehrsangebots.
Sowohl das Verkehrsangebot des französischen TGV wie auch das Angebot von Flugverbindungen ist demgegenüber weitaus stärker an der Nachfrage orientiert, sodass die Entscheidung zur Benutzung einen sehr viel stärkeren Einfluss auf das Angebot und damit den konkreten Energieverbrauch hat.
Die rein statistischen Rechnungen, die vielen Vergleichsdarstellungen »Bahn, Auto oder Flugzeug?« zugrunde liegen, werden unter deutschen Bedingungen den Anforderungen an einen Verkehrsmittelvergleich grundsätzlich nicht gerecht.

Vergleich im Überblick für Pkw und ICE

Der Energieverbrauch pro Person und 100 Kilometer bei der Nutzung von Hochgeschwindigkeitszügen liegt bei 3 bis 4 kWh je Platzkilometer. Ein Elektro-Pkw kommt auf einen Verbrauch von 15 bis 20 kWh, damit je Platzkilometer auf 10 kWh und mehr.
Diese Daten sind nicht ohne weiteres vergleichbar.

Die Daten hinter dieser Aussage

Jeder Energievergleich ist schwierig. Mit der richtigen Auswahl der Daten auf der Eingabeseite kann jedes politisch erwünschte Ergebnis „nachgewiesen“ werden. Die Ergebnisse reichen von „Meine Bahnfahrt verbraucht überhaupt keine zusätzliche Energie“ bis „Auto und Flugzeug sind genauso energieeffizient wie die Bahn.“ Daher legen wir hier die Daten und ihre Hintergründe offen.

Der Energieverbrauch von Hochgeschwindigkeitszügen

Gesicherte Angaben über den Energieverbrauch von Hochgeschwindigkeitszügen sind schwer zu finden, sie werden im Allgemeinen als Unternehmensgeheimnis behandelt. Selbst der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages erhält keine brauchbaren Antworten, wie diese Quelle nachweist: WD 5 – 3000 – 030/20 (5.5.2020).
Zum TGV Lyria, der die Schweiz mit Paris und Marseille verbindet, liegt eine vergleichende Untersuchung vor (Infras, TGV Lyria, Ökologischer Verkehrsträgervergleich auf ausgewählten Relationen, Schlussbericht, Zürich, 5. März 2021). Die konkreten Verbrauchsangaben der Züge fehlt aber, die Daten wurden von der SNCF übernommen, die Daten sind aber schlüssig und lassen erkennen, dass der TGV weitaus weniger Energie verbraucht als Pkw und Flugzeug. Die Daten sind auf den ICE nicht unmittelbar übertragbar, da der Besetzungsgrad des ICE niedriger ist und der ICE öfter hält.
Einige im Netz kursierende Daten (Quelle) und andere verstreute Datenquellen lassen aber erkennen, dass folgende Aussagen gerechtfertigt sind:
* Der Verbrauch eines Personenkilometers im ICE mit Hochgeschwindigkeit ist mit 3 bis 4 kWh anzusetzen.
* Hochgeschwindigkeit verbraucht nicht mehr Energie als eine Altstrecke.
* Die Rückspeisung des ICE liegt bei 20 %.
* Einzel-Verbrauchsangaben hängen sehr vom Geschwindigkeitsprofil, Wetter, konkretem Fahrzeug und konkretem Lokführer ab.

Der Verbrauch von E-Autos

Um einen zukunftsfähigen Vergleich zu verwenden, ist der Energieverbrauch von Elektro-Pkw zu nutzen.
Angaben der Hersteller und Tests des ADAC belegen die vorgenannten Angaben über den Verbrauch. Die Angabe von Herstellern über den Verbrauch reichen von 13,8 bis weit über 20 kWh je 100 km, die Werte aus den Testergebnissen des ADAC liegen deutlich darüber: bei etwa 14 bis 28 kWh. Gemessen wurde der Energieverbrauch ab Wallbox. Ein “Flottenverbrauch” kann noch nicht errechnet werden, weil das Angebot von Fahrzeugen heute noch zu klein ist. Allein das sparsamste Auto kann aber den ICE nicht unterbieten.

Der Besetzungsgrad von ICE, TGV und Pkw

ist ein entscheidender Faktor für die Bewertung des Energieverbrauchs.
Für den Pkw ist dies leicht zu verstehen:
Das Fahrzeug und nicht der Besetzungsgrad entscheidet über den Verbrauch für eine Fahrt.
Rechnet man diesen Verbrauch auf Personenkilometer um, so ergeben sich sehr unterschiedliche Werte. Der Einzelreisende verbraucht die genannten mindestens 14 bis 28 kWh je Kilometer allein, für eine fünfköpfige Familie sinkt der Verbrauch auf 3 bis 6 kWh pro Person und Kilometer. Einzelpersonen sollten daher aus Gründen der Energieersparnis mit der Bahn reisen, Familien hingegen eher aus pädagogischen Gründen, damit die Kinder lernen, wie Energiesparen funktioniert.
Statistiker rechnen in Deutschland, dass im Fernverkehr durchschnittlich 1,5 Personen im Auto fahren. Infras (Studie TGV Lyria) rechnet 1,6 Personen/Pkw, jedoch 1,2 Personen/Pkw bei Geschäftsreisenden.
Bei Anwendung dieses Besetzungsgrads ergibt sich der Energieverbrauch eines Pkw mit 10 bis 20 kWh je Reisendenkilometer.

Beim Schienenverkehr rechnen Statistiker mit dem durchschnittlichen Besetzungsgrad im System. Der Besetzungsgrad im Fernverkehr ist mit um 50 Prozent besonders hoch, der Anteil des Energieverbrauchs von Leerfahrten von und zum Einsatzort vergleichsweise gering. Der Besetzungsgrad steigt typischerweise mit der Reisegeschwindigkeit: Je schneller die Züge sind, umso voller sind sie auch zu hachfrageschwächeren Zeiten, in Deutschland bis auf 60 %. Der TGV erreicht höhere Besetzungsgrade. Dies liegt am gesellschaftlichen Unterschied zwischen Frankreich un Deutschland – siehe nachfolgendes Kapitel.

Kürzere Reisezeiten = mehr Umsteiger in weniger Zügen

Einen wesentlichen Effekt beim Energiesparen erzielt der Deutschlandtakt: Durch die Koordinierung der Umsteigeknoten können mehr Umsteiger ohne Zeitverlust mitfahren, auch wenn sie mehrfach umsteigen müssen. Dadurch wird das Bahnsystem attraktiver, der Besetzungsgrad steigt.
Mehr noch: Es werden Züge eingespart. Gerade für die Neubaustrecke Hannover – Bielefeld beweist die Studie Bahnzentrum / Widuland diesen Zusammenhang. Zwar wird auch hier dargelegt, dass der Energieverbrauch bei 250 km/h niedriger ist, aber mit der geringeren Geschwindigkeit können die Knoten Münster über Hamm und Hannover nach Magdeburg nicht mehr mit dem gleichen Zugsystem verbunden werden. Ein zweiter Zug muss eingesetzt werden, um wenigstens für den Großteil der Reisenden, die nur einmal umsteigen, ein attraktives Angebot zu erreichen: Der eine Zug bedient Umsteiger in Hamm gut, der andere Umsteiger in Hannover. Damit verdoppelt sich der Energieverbrauch im Abschnitt Hamm – Hannover, ohne dass dies mit doppelt so vielen Fahrgästen belohnt wird. Dennoch werden Fahrgäste, die zweimal umsteigen, schlecht bedient, denn in einem der Umsteigebahnhöfe müssen sie lange warten.

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Schreiben Sie an frage@neubaustrecke-bielefeld-hannover.de.