Antworten zum Maßnahmengesetz und zum Planungsverfahren für die Neubaustrecke Bielefeld – Hannover

Soll das Baurecht für die Neubaustrecke Bielefeld – Hannover durch Maßnahmengesetz erteilt werden?

Ja, das hat der Deutsche Bundestag am 31. Januar 2020 beschlossen. Das Gesetz heißt  Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgvG).
Das Gesetz ist seit dem 1. April 2020 in Kraft und im Bundesgesetzblatt Teil I vom 31. März 2020 S. 640 veröffentlicht.

Das Gesetz zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetz enthält einen Katalog von Bauprojekten der Schienenwege und Wasserstraßen, für den dieses Gesetz Anwendung finden soll. Zu diesem Katalog gehört das Projekt des Ausbaus der Schienenwege zwischen Hannover und Bielefeld (§ 2 Ziffer 6 des Gesetzentwurfs). Das Gesetz betrifft auch etwaige Ausbaumaßnahmen an der bestehenden Eisenbahnstrecke zwischen Bielefeld und Hannover.

Wie ist bisher für Verkehrsprojekte Baurecht geschaffen worden?

Nach bisheriger Rechtslage darf der Bau erst begonnen werden, wenn hierfür ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluss vorliegt. Dieser Planfeststellungsbeschluss wird in einem gesetzlich geregelten Verfahren erlassen.

Welche Nachteile hat das Planfeststellungsverfahren?

Das bisher geltende Planfeststellungsverfahren führt bei Großprojekten zu einem sehr unübersichtlichen und langwierigen Verfahren. Wichtige Bauprojekte im Ausbau des Schienennetzes haben sich dadurch bereits um mehrere Jahrzehnte verzögert. Darüber hinaus werden die Bürger erst dann beteiligt, wenn verwaltungsintern die Entscheidung für eine bestimmte Projektausführung, bei Verkehrsprojekten für eine bestimmte Linienführung, gefallen ist. Der Antrag auf Planfeststellung und die zum Antrag gehörenden Unterlagen müssen so konkret sein, dass danach gebaut werden kann. Politische Bürgerproteste und Klagen gegen dieses Vorgehen sind die Folge.
Vor Abschluss aller Klageverfahren darf nicht gebaut werden.

Welche Probleme entstehen besonders bei großen Vorhaben für die Schienenwege?

Obwohl große Vorhaben – etwa der Bau einer neuen Strecke oder der umfassende Ausbau und die Elektrifizierung einer vorhandenen Strecke – erst nach Abschluss aller Bauarbeiten genutzt werden können und so ein Nutzen für die Allgemeinheit entsteht, müssen solche Projekte in Teilabschnitte zerlegt werden. Für jeden dieser Teilabschnitte läuft ein gesondertes Verfahren. Eine einzelne Klage kann ein solches Gesamtprojekt verhindern oder über viele Jahre verzögern. Teilweise Bauabschnitte sind – anders als im Straßenbau – nicht vor Fertigstellung des Gesamtprojekts sinnvoll nutzbar.

Welche gesellschaftlichen Nachteile hat das bisherige Planfeststellungsverfahren für Großprojekte der Schienenwege?

Die Interessen der Bürger, die aus dem Projekt Vorteile schöpfen können – ersparte Zeit, ersparte Umweltbelastungen an anderer Stelle, wirtschaftliche Vorteile, Schaffung von Arbeitsplätzen – werden nicht abgewogen gegen die Interessen der Bürger, die dagegen Einwendungen im Prozesswege geltend machen. Die Mehrkosten und verminderte Steuereinnahmen treffen alle Bürger. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Einwendungen als unberechtigt und die zugehörigen Klageverfahren als erfolglos erweisen. Bei kleineren Bauprojekten geht der Gesetzgeber von vornherein davon aus, dass die gesamtgesellschaftlichen Interessen ausreichend berücksichtigt sind, wenn in absehbarer Zeit das Projekt nach gerichtlicher Klärung zugelassen wird. Bei Großprojekten entspricht diese Einschätzung aber nicht mehr der Wertung des Grundgesetzes, wie sie in Art. 14 Abs. 2 und 3 Grundgesetz (Eigentum) und Art. 19 Grundgesetz (Rechtsschutz) grundsätzlich geregelt sind.

Was will das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgvG) gegenüber der bisher geltenden Rechtslage ändern?

Einerseits will das Gesetz die Beteiligung der Bürger bereits möglich machen, bevor der konkrete Bauplan in seiner ersten Fassung fertiggestellt worden ist („Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung). Auf diese Weise sollen nicht nur die persönlichen Einwendungen von Betroffenen gehört werden, sondern mit den Bürgern das Gesamtprojekt hinsichtlich seiner Sinnhaftigkeit und dem Sinn der Auswahl einer bestimmten Ausführung, beispielsweise einer bestimmten Streckenführung, hinterfragt werden. Auf diese Art und Weise können im Verfahren über den Bürgerdialog völlig neue Aspekte und Gestaltungsmöglichkeiten zu einer ganz anderen Problemlösung führen. Eine solche Öffentlichkeitsbeteiligung, die einer politischen Einflussnahme auf das Projekt gleichkommt, ist bisher für kein Infrastrukturprojekt vorgeschrieben, hat sich aber als praktikabel erwiesen und ist für andere Projekte erfolgreich durchgeführt worden.
Andererseits soll die Zeit bis zur Erteilung des Baurechts verkürzt werden, indem die aufschiebende Wirkung von Klagen gegen einen Planfeststellungsbeschluss aufgehoben wird,

Wird damit das bisherige Planfeststellungsverfahren überflüssig?

Nein, es heißt nur anders. Nach der „Frühen Öffentlichkeitsbeteiligung“ folgt ein Verfahren, das genauso umfassend ist wie ein Planfeststellungsverfahren und die gleichen Anhörungsrechte der Anlieger und Interessenverbände vorsieht.

Wer wird für was zuständig sein?

Die „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ führt der Vorhabenträger durch. Das ist für die Neubaustrecke Hannover – Bielefeld die Deutsche Bahn – DB Netz. Diese stellt daraufhin einen Antrag auf Genehmigung des Vorhabens. Das anschließende Verfahren der Prüfung des Antrags und von Einwendungen wird das Eisenbahnbundesamt durchführen und den Antrag mit einem Prüfungsbericht dem Bundestag vorlegen.

Ist ein Maßnahmengesetz verfassungsgemäß?

Grundsätzlich ja.
Das Bundesverfassungsgericht hat ein solches Maßnahmengesetz im Fall der Südumfahrung Stendal für zulässig erklärt.
Das höchste deutsche Gericht hat die Normenkontrollklage des Landes Hessen gegen das Gesetz, das den Bau der Südumfahrung Stendal genehmigte, ohne mündliche Verhandlung als „offensichtlich unbegründet“ in einem vereinfachten Verfahren verworfen. Dabei wurden die drei entscheidenden Fragen beantwortet: Die Baufreigabe durch ein Maßnahmengesetz anstelle durch die Verwaltung stellt keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Gewaltenteilung dar. Enteignung und enteignungsgleiche Beeinträchtigungen, wie Lärm– dürfen durch Gesetz angeordnet werden, und auch die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes ist durch ein Maßnahmengesetz nicht verletzt. Allerdings muss das Bauvorhaben eine Bedeutung haben, die diese Abweichung vom normalen Verwaltungsverfahren rechtfertigt, für diese Bewertung wurde dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum bescheinigt. Nur, um den Rechtsschutz auszuhebeln, darf der Gesetzgeber also nicht jede Maßnahme per Gesetz regeln. Diese Frage ist für jede Maßnahme einzeln zu stellen. Nur offenkundige Willkür würde den Ermessensspielraum überschreiten. Auch muss das Verfahren bis zum Maßnahmengesetz genauso umfassend sein wie das Verfahren bis zum Planfeststellungsbeschluss, dies wird schon durch das Vorbereitungsgesetz sichergestellt, da das Planungsrecht entsprechend anzuwenden ist.
Weiterführende Informationen finden Sie hier.
Unter Juristen wird zu dieser Frage kontrovers diskutiert und es werden Bedenken gegen diese Argumentation gelten gemacht. Letztlich wird über solche Bedenken wieder das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Solche Entscheidungen wird es voraussichtlich aber nur zu den jeweiligen Gesetzen zu den Einzelmaßnahmen geben. Der Gesetzgeber wird sehr viel eingehender begründen müssen, warum mit dem jeweiligen Maßnahmengesetz von der Praxis abweichen will, warum er selbst die Aufgabe übernimmt, die er sonst der Verwaltung zuweist.

Wie kann überprüft werden, ob das Maßnahmengesetz verfassungsgemäß ist?

Eine Überprüfung kann im Normenkontrollverfahren auf Antrag erfolgen. Einzelheiten erfahren Sie hier.
Daneben kann eine Überprüfung auf Antrag betroffener Bürger im Wege der Verfassungsbeschwerde erfolgen. Näheres erfahren sie hier.

Hat eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Maßnahmengesetz aufschiebende Wirkung?

Nein. Das Bundesverfassungsgericht kann diese aufschiebende Wirkung aber selbst anordnen. Dies erfolgt aber nur, wenn die Klage offensichtlich begründet ist oder der zu erwartende Nachteil diesen Aufschub zwingend erfordert.

Ist das jetzt beratene Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz bereits ein Maßnahmengesetz in diesem Sinne?

Nein. Es ist ein Vorbereitungsgesetz für ein späteres Maßnahmengesetz. Die Vorbereitung eines Maßnahmengesetzes greift selbst in Rechte der Bürger nicht ein und ist daher selbst nicht mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar.

Verstößt ein Maßnahmengesetz gegen EU-Recht?

Grundsätzlich nein.
In der EU-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung ist die Möglichkeit, Genehmigungen durch Maßnahmengesetz zu erteilen, ausdrücklich vorbehalten (Artikel 2 Absatz 5 der Richtlinie 2014/52 EU). Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist sicherzustellen. Das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz trägt dem Rechnung: Bis zum Erlass des Maßnahmengesetzes gilt das gleiche Verfahren wie bis zum Planfeststellungsbeschluss.
Eine offene Frage ist, ob ein Maßnahmengesetz einen nach EU-Recht vorgeschriebenen Rechtsweg gegen die Maßnahme ausschließt. Der Gesetzgeber kann aber im Maßnahmengesetz selbst den erforderlichen Rechtsweg eröffnen. Bis zum Erlass des Maßnahmengesetzes werden aber auch noch einige Jahre vergehen. Bis dahin kann sich die Rechtslage nach EU-Recht schon wieder geändert haben. Eine Antwort auf diese Frage wird daher erst zu diesem Zeitpunkt gegeben werden müssen.

Haben Sie Fragen, die hier nicht beantwortet werden?
Schreiben Sie an frage@neubaustrecke-bielefeld-hannover.de.